Der wirtschaftliche Boom der Nachkriegszeit, der sich bis in die siebziger Jahre hinein erstreckte, war besonders ab den sechziger Jahren auch eine Zeit der zunehmenden Motorisierung. Zugleich entstand die sogenannte Freizeitgesellschaft. Das Motorrad, das als Alltagsgefährt vom bequemeren Auto verdrängt worden war, wurde nun als Freizeit- und Sportgerät neu entdeckt. 1967 erschien das Buch „Sport mit Motorrädern“ von Crius (Christian Christophe), eine damals sehr populäre Anleitung zum Einstieg in den Motorradsport, die mehrere Auflagen erlebte.
So wie die anderen Motorradsportarten, nahm auch der Trialsport einen entsprechenden Aufschwung. Laut den Terminangaben im Mitteilungsblatt der Deutschen Trialsportgemeinschaft FAHRERLAGER fanden im Jahr 1964 in der Bundesrepublik insgesamt 22 Trialwettbewerbe statt. Das Nachfolgeblatt TRIALSPORT verzeichnete in seinem Gründungsjahr 1976 dann schon 118 Trialveranstaltungen, was rechnerisch einer jährlichen Zunahme von 45 Prozent in diesem Zeitraum entspricht. In anderen Ländern, in denen Trial gefahren wurde, dürfte die Entwicklung in dieser Zeit ähnlich verlaufen sein. Die Anzahl der Wertungsläufe der 1967 geschaffenen Trial-Europameisterschaft stieg in derselben Weise von fünf in der ersten Saison auf dreizehn im Jahr 1974.
Neben der fortschreitenden Motorisierung und der Entstehung der Freizeitgesellschaft ist noch ein dritter Faktor zu nennen, der die Motorradbegeisterung und damit auch den Trialsport damals förderte, nämlich der 68er Zeitgeist, wie man ihn heute rückblickend bezeichnet. Das mag vielleicht überraschend klingen, aber eigentlich liegt es auf der Hand, daß eine Zeitströmung, die in der Breite dazu führte, daß ein toleranter, jugendlicher und lebensfroher Zeitgeist Einzug hielt, wie man an den länger werdenden Haaren und an den bunt werdenden Farben von Kleidung, Tapeten und sogar Autos ablesen konnte, mehr zur Motorradbegeisterung einer entstehenden Freizeitgesellschaft paßte, als daß er ihr entgegenstand.
In Deutschland ermöglichte der 68er Zeitgeist wichtige politische Veränderungen, wie beispielsweise die Ostpolitik von Willy Brandt, die im Kalten Krieg auf Verständigung statt auf bloße Konfrontation setzte. Man nahm nun die Chancengleichheit in der Gesellschaft und damit die sozialen Bedingungen in den Blick, mit teilweise ganz banalen Auswirkungen. Beispielsweise kümmerte man sich nunmehr um die bisher vernachlässigte Jugend und betrieb Jugendarbeit; 1970 wurde in diesem Kontext der Stadtjugendring Bad Nauheim gegründet, der als offizieller Veranstalter der ab 1974 stattfindenden Fahrrad-Trials in Bad Nauheim fungierte.
Insgesamt aber hat man den Eindruck, daß die ursprünglich politisch gemeinte 68er Bewegung von den Errungenschaften des Fortschritts überholt (oder von ihm „saturiert“) wurde. 1 Selbst in den USA, wo die 68er Bewegung im Widerstand gegen den Vietnamkrieg erstarkt war, verlor sie in den siebziger Jahren rasch an Einfluß, obwohl der Vietnamkrieg noch bis 1975 weiterging. Der Umstand, daß das Woodstock-Festival (1969) zu einem Symbol der 68er Bewegung wurde, zeigt deutlich, wie sehr die ursprünglich politische Energie nunmehr in die expandierende Musikszene und in die Welt der Freizeit floß. Entsprechendes war auch beim zweiten großen Symbol der 68er Bewegung zu beobachten. Der Film „Easy Rider“ (ebenfalls 1969), der Kult war, auch wenn es dieses Wort in den siebziger Jahren noch nicht gab, hatte zwar einen sozialkritischen Hintergrund, war aber in erster Linie ein Musikfilm und ebenso ein Road Movie, ein Motorradfilm von der Freiheit auf zwei Rädern. Auch hier ging es jetzt nicht mehr um die politische Freiheit aller, sondern um die Selbstverwirklichung des Einzelnen, die mit den Zielen der 68er Bewegung gleichgesetzt wurde.
So wurde auch die Motorradbegeisterung in der neuen Freizeitgesellschaft durch den Einfluß des 68er Bewegung gefördert und weltanschaulich erhöht. Das mag aus heutiger Sicht naiv erscheinen, aber so war die Atmosphäre jener Jahre. Wer würde heute ein Buch schreiben oder lesen, wie „Zen oder die Kunst, ein Motorrad zu warten“ von Robert M. Pirsig? Man glaubt gar nicht, wer damals alles der Motorradbegeisterung erlegen ist – ein Überbleibsel davon sind die vielen älteren Motorradfahrer von heute – und wieviele ältere Herren, denen man das heute überhaupt nicht mehr ansieht, in den siebziger Jahren Moto Cross oder Trial gefahren sind! Auch die Zuschauer ließen sich vom Zeitgeist anstecken und pilgerten, ganz anders als heute, in Massen zu den Veranstaltungen, auch wenn sie gar nichts mit Motorrädern zu tun hatten.
In den frühen siebziger Jahre waren Poster etwas ganz Neues. Ich erinnere mich an einen Prospekt, der das gesamte, noch überschaubare Lieferprogramm abbildete und damit einen perfekten Überblick über die Themen der Zeit gab. Das waren die Mondlandung (erstmals konnte man den blauen Planeten in seiner Schönheit von außen sehen! Dieser Perspektivwechsel war viel eindrucksvoller als die Bilder vom Mond), Anti-Kriegsfotos (das Peace-Symbol oder das Schwarzweißfoto eines amerikanischen Soldaten in Vietnam, der – tödlich getroffen – die Waffe in die Luft warf, mit der großen Überschrift WHY?), jede Menge Psycho-Poster mit allerlei Farbmustern, welche die nun möglichen Effekte nutzten, auch Natur- oder Tierfotos, natürlich Poster von Jimmy Hendrix, Racquel Welch oder von Che Guevara, vor allem aber durften Poster von Peter Fonda und Dennis Hopper auf ihren Choppern im Film Easy Rider nicht fehlen. Es gab natürlich auch Poster vom Motorrad-Rennsport und auch ein paar von der Formel 1, aber im Verhältnis dazu erstaunlich viele vom Moto Cross. Das war ganz anders als heute und hatte sicherlich damit zu tun, daß das Moto Cross damals in den USA einen Boom erlebte und spektakulär war. Der Offroad-Motorradsport insgesamt war in dieser Zeit aber auch in Europa überaus populär. Es gab eine ganze Reihe Straßenmotorräder, die sich Scrambler nannten und hochgelegte Auspuffanlagen besaßen. Es ist klar, daß auch der Trialsport von dieser Entwicklung stark profitierte, auch wenn er auch damals schon im Schatten der übrigen Motorradsportarten stand.
Für das Fahrrad-Trial bedeutete die Gründung vieler neuer Trialvereine, daß die Begeisterung für etwas Neues und Bedingungen wie 1961 in Ebstorf nunmehr häufiger gegeben waren. Das Fahrrad-Trial lag also in der Luft, auch wenn das damals niemandem bewußt war. Es bedurfte aber der Unterstützung durch Erwachsene, die die Begeisterung der Kinder erkannte und förderte. Und es bedurfte dann der weiteren Ausbreitung solcher Aktivitäten und ihrer überregionalen Koordinierung, damit das Fahrrad-Trial nun nicht wieder erlosch, sondern zu einer eigenständigen Disziplin wurde. Das war in den siebziger Jahren in Deutschland und in Spanien (Katalonien) der Fall.
- So schrieb Crius bei der Behandlung der Frage des Maschinentransports: „ein Auto gibt es bald geschenkt“; Crius 1972, S. 59. Man war zufrieden. ↩