Die Entstehung des Trialsports als ein Motorsport

Zur selben Zeit, als die Entwicklung des Fahrrads sozusagen „abgeschlossen“ war, begann um 1900 die Entwicklung von Motorfahrzeugen und des Motorsports. Wieder ging es um die Erhöhung der Mobilität des Menschen. Das Motorrad und das Auto boten nun ganz andere Möglichkeiten als das Fahrrad, waren dafür aber auch sehr viel störanfälliger und die Kraftfahrtechnik befand sich noch in den Kinderschuhen. Das schlug sich auch im Motorsport nieder. Bereits kurz nach der Jahrhundertwende entstanden die ersten Zuverlässigkeits-Wettbewerbe, die auf den grünen Inseln reliability trials hießen, „Zuverlässigkeitstests“.

Anfangs ging es beim reliability trial noch nicht durchs Gelände. Die schlechten Straßen waren für die damaligen Autos und Motorräder aller Art, die in dieser Zeit alle gemeinsam am Start waren, Herausforderung genug. Beispielsweise stellten die zahlreichen Furten, die für Pferdekarren gedacht und gebaut worden waren, die elektrischen Zündungen der neuen Kraftfahrzeuge oft auf eine harte Probe. Bei den Motorrädern bestand zudem die Gefahr, daß die Riemenantriebe zum Hinterrad durchrutschten. Steilere Anstiege waren generell ein Problem, da die Motorräder mit ihren geringen Motorleistungen zunächst noch nicht über Gangschaltungen verfügten.

Ab etwa 1910 kamen Schaltgetriebe auf. Dies bedeutete einen starken Einschnitt im gesamten Motorradsport. Steilere Anstiege wurden jetzt möglich. Das Nonstop-Kriterium, das von Anfang an ein Wesenselement des reliability trial war, da jeder ungewollte Stopp ein Scheitern der noch unvollkommenen Technik darstellte, konnte nunmehr gezielt an steilen Anstiegen überprüft werden, die man beobachtete. Diese observed hills waren noch keine Sektionen im heutigen Sinn, sondern oft kilometerlange Anstiege auf kleinen Straßen in bergigen oder abgelegenen Regionen. Hier wurden nicht nur die Motoren gefordert, sondern wegen der schlechten Beschaffenheit dieser Nebenstraßen auch die Fahrwerke und überhaupt die gesamte Technik der Motorräder und Autos. Die observed hills stellten deswegen ideale Testmöglichkeiten bei diesen Zuverlässigkeitsprüfungen dar und entwickelten sich schon vor dem Ersten Weltkrieg zu einem Kerninhalt des reliability trials, bei dem die Maschine im Vordergrund stand und nicht der Fahrer.

Mit der technischen Weiterentwicklung der Motorräder entstanden bald neue Möglichkeiten. Dementsprechend stiegen auch die Streckenanforderungen. Das reliability trial wandelte sich nun zu einem Geländesport und das fahrerische Element wurde allmählich wichtiger. Die Veranstalter konnten verschiedene Aspekte in den Vordergrund rücken: die Distanz, die Geschwindigkeit oder den Schwierigkeitsgrad. Je nach Vorliebe oder gegebenen Möglichkeiten tauchten bei den reliability trials diese drei Aspekte in unterschiedlichen Kombinationen auf, bevor sich in einem längeren Spezialisierungsprozeß, der in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ablief, die drei Geländedisziplinen Enduro 1, scramble (die Belgier übernahmen es in den 1930er Jahren und nannten es Motorcross) und das observed trial 2 herausbildeten. 3. Heutzutage bezeichnet man die drei Disziplinen international als Enduro, Motocross und Trial.

Was die internationale Entwicklung des Trialsports anbelangt, sprang das – international führende und tonangebende – britische reliability trial bereits in den zwanziger Jahren in seiner damaligen Form auch auf die Niederlande und nach Belgien über. Zwischen 1940 und 1947 wurde in Belgien – heimlich unter den Augen der deutschen Besatzung – fünfmal der Coupe van Maldeghem ausgetragen, der als Sonderprüfungen Trial-Sektionen und Motocross-Etappen beinhaltete. Aus dem Van Maldeghem-Pokal ging 1948 das Trial Lamborelle in Ohain nahe Waterloo hervor, das nun bereits  „wirkliches“ Trial war und zur wichtigsten Trial-Veranstaltung und zum Ausgangspunkt des Trialsports auf dem Kontinent wurde. Der nächste Schritt war, nachdem außer in Großbritannien in den Niederlanden, in Belgien, in Frankreich, in Schweden, in Deutschland und in Finnland nationale Trialmeisterschaften entstanden waren, 1963 4 die Challenge Henri Groutars, die mit Belgien als Mittelpunkt zur Vorbereitung einer Trial-Europameisterschaft organisiert wurde. Diese Europameisterschaft wurde 1967 offiziell eingeführt und bis 1974 sieben Mal ausgetragen, bevor man sie ab der Saison 1975 zu einer Trialweltmeisterschaft erweiterte.

Es ist faszinierend zu sehen, daß das Mutterland des Trialsports Großbritannien bereits 1947 auch das vermutlich erste Fahrrad-Trial hervorgebracht hat – das Windlesham Wheelers Trial (siehe dort). Diese Veranstaltung geriet – ebenso so wie einige weitere frühe Fahrrad-Trials, die im Umfeld von Motorrad-Trialklubs zustandekamen, wieder in Vergessenheit. Erst der erneute Anlauf zum Fahrrad-Trial in den siebziger Jahren war stark genug, daß sich das Fahrrad-Trial nunmehr als eine eigene Disziplin des Trialsports etablieren konnte. Dieser erfolgreiche Anlauf ist vor dem Hintergrund der Motorrad- und Motorradsport-Begeisterung der siebziger Jahre zu sehen, die allerorten zu einem ungeheuren Aufschwung auch des motorisierten Trialsports führte, in dessen Umfeld es nun unabhängig voneinander und fast gleichzeitig in mehreren Ländern (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Österreich) auch zur Entstehung von Fahrrad-Trialaktivitäten kam. Die Entwicklung riß nun nicht wieder ab, sondern das deutsche und das spanische Fahrrad-Trial fanden zusammen und entwickelten sich zu dem, was man heute weltweit als „bike trial“ bezeichnet.

  1. Den Begriff Enduro gab es damals noch nicht. Die erste Internationale Sechstagefahrt 1913 war ein reliability trial, das international als „Touring Trial“ bezeichnet wurde. Das zeigt, daß sich dieses reliability trial vor dem Ersten Weltkrieg noch nicht als eine Geländeveranstaltung verstand. – Die spätere Bezeichnung International Six Days Trial wurde erst 1981 in International Six Days Enduro geändert
  2. „Observed Trials“ war 1983 der Titel eines Trialbuchs von Bernie Schreiber und Len Weed
  3. Aber noch 1968 gab es beispielsweise bei deutschen Geländewettbewerben – heute Enduro genannt – als Sonderprüfungen neben Motocross-Prüfungen auch Trial-Sektionen.  https://msv-rangau.com/veranstaltungshistorie/1968-2/ vom 25.05.2022
  4. 1963 noch als Mannschafts-Wettbewerb, ab 1964 dann mit einer Individual-Wertung