„Fahrrad-Trial-Club Ebstorf“ (1961-1964)

In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre begann der (motorisierte) Trialsport in Deutschland allmählich Gestalt anzunehmen. Angeregt durch entsprechende Aktivitäten im nahegelegenen Lüneburg führte der MSC Ebstorf 1958 erstmals das “Hellkuhlen-Bergtrial” durch, das im Laufe der Zeit zu einer Traditionsveranstaltung des deutschen Motorrad-Trialsports wurde.

1970 fand in Ebstorf ein Lauf zur Trial-Europameisterschaft statt, den Mick Andrews gewann.

Eine der treibenden Kräfte beim MSC Ebstorf war der Fuhrunternehmer Schulz, dessen Motorsportbegeisterung drei seiner Söhne und Rudi Munstermann („Fourstroke“), den Sohn eines befreundeten Fuhrunternehmers, zum Trialfahren brachte. Auch der sechste der Schulz-Söhne, Reinhard Schulz – genannt „Grille“ – fuhr in den späten sechziger Jahren Motorrad-Trial. Zunächst war er als junger Teenager aber noch zu klein zum Motorradfahren und mußte sich damit begnügen, seinen Brüdern mit dem Fahrrad nachzueifern.

Als Grille in der Schule in die Klasse von Jürgen Baumann kam, infizierte er Jürgen mit dem Trialvirus. Grille bekam die Trialaktivitäten seiner drei Brüder unmittelbar mit und wußte natürlich, wann in den Hellkuhlen trainiert wurde. Gemeinsam fuhren Grille und Jürgen dann mit den Fahrrädern von Ebstorf die sieben oder acht Kilometer bis in die Hellkuhlen nördlich von Velgen. Traf man dort niemanden an, wurde gelauscht, wo in dem weitläufigen und bewaldeten Hügelgebiet die Motorradfahrer gerade trainierten.

Die Trialbegeisterung schlug sich auch bereits in einer Verbesserung der Fahrräder nieder. Grille war auch hier Wegbereiter. Zunächst kürzte er nur die Schutzbleche. Später benutzte er für sein 28er Fahrrad hinten eine 26 Zoll-Hinterradfelge, auf die ein Victoria Vicky-Mopedreifen paßte!

Victoria Vicky mit Geländeprofil

Als sich Jürgen Baumanns Mutter 1961 bei Schulenburg Willi ein neues Fahrrad kaufte, bekam der Sohn im Alter von zwölf Jahren sein erstes Fahrrad, das alte 28er Damen-Fahrrad der Mutter. Das wurde nun umgekrempelt, auch wenn es nach dem Kürzen der Schutzbleche (die Befestigungsstreben wurden dafür höhergelegt) und der Demontage des Gepäckträgers – da sollte doch eigentlich der Schulranzen hin – erst einmal ein Donnerwetter des Vaters hagelte.

Trial-ähnlicher Reifen auf der NSU Quickly

Doch es gab kein Halten. Ein 26er-Hinterrad mit Vicky-Reifen mußte her, so wie Grille eins hatte. Die Vorteile des gröberen Profils, des dickeren und besser federnden Reifens sowie der durch das kleinere 26er-Rad gegebenen kürzeren Übersetzung – von der psychologischen Bedeutung der „Trialoptik“ ganz zu schweigen! – waren so ausschlaggebend, daß der Nachteil der geringer werdenden Bodenfreiheit in Kauf genommen wurde. Der Sattel kam ganz nach unten, der Kettenschutz verschwand. Als ein Bruder von Grille bei einem Dreher lernte, wurden sogar richtige Triallenker gebogen! Die Griffe wickelte man sich aus Isolierband – dabei war farbiges Isolierband, das damals nur schwer zu bekommen war, der Brüller.

Hier befand sich Schulenburg Willi

Die äußeren Bedingungen waren ideal. In unmittelbarer Nähe des Wohngebiets in Ebstorf gab es ein schattiges Wäldchen mit zahlreichen Trichtern, in denen irgendwann einmal Ton abgebaut worden war. Auf- und Abfahrten sowie schwungvolles Fahren am Gegenhang mit Kehren und Wurzeln waren sozusagen direkt vor der eigenen Haustür möglich und sogar eine Stelle mit Schlamm stand zur Verfügung. Zur Infrastruktur gehörte auch Schulenburg Willi, der Fahrradladen in der Fischerstraße. Die Jungens durften dort immer mal wieder in der Schrottkiste graben und wurden dabei oft genug fündig. Auch der Dorfladen Joppich in der Stadionstraße, das Elternhaus eines der Fahrrad-Trialer (wegen der entsprechenden Kaffeereklame am Laden hatte er den Spitznamen „Ronning“), lag direkt neben dem Wäldchen und war eine wichtige Anlaufstelle.

Alte Tongrube in Ebstorf

Der durch Grille gegebene Kontakt zum Motorrad-Trial wirkte sich auch bei der Durchführung von Veranstaltungen in den Ebstorfer Tongruben aus. Nach dem Vorbild der Trials in den Hellkuhlen wurden im mehr oder weniger internen Kreis vier bis fünf Fahrrad-Trials pro Jahr ausgefahren – nicht gerade wenig! Eine Gesamtwertung über das Jahr gab es dabei nicht, es handelte sich also um Einzelveranstaltungen. Einmal hatte Grille zuhause ein Veedol-Banner besorgt, daß im Wald aufgespannt wurde und für Rennatmosphäre sorgte. Und in Anlehnung an den MSC Ebstorf hing an einem Baum ein weißes Schild, auf dem mit blauer Schrift „FTC“ zu lesen war: Fahrrad-Trial Club Ebstorf!

Etwa fünf Jungen gehörten zum harten Kern des „Fahrrad-Trial Clubs Ebstorf“ – zwei davon, nämlich Grille und Jürgen Baumann – fuhren mit ihren Spezialfahrrädern, drei weitere hatten nur ihre Schutzbleche gekürzt. Doch gelang es erstaunlicherweise gerade „Siggi“ (Siegfried Klass) auch ohne 26er-Hinterrad und Ballonreifen als einzigem, einen „Rodelbahn“ genannten und im Winter entsprechend genutzten Hang bis ganz nach oben zu fahren!

An den Fahrrad-Trials selbst nahmen jeweils zehn bis zwölf Fahrer mit zum Teil ganz gewöhnlichen Fahrrädern teil. Es wurde eine Runde von etwa vier bis fünf Kilometern Länge mit bis zu zehn Sektionen gefahren, die mit den damals beim Trial üblichen Begrenzungsfähnchen („Sinalco“) abgesteckt waren. Die wurden natürlich von Grille besorgt, der in der Schule sogar Urkunden schrieb (von denen sich leider keine erhalten hat)! Die Fahrer bewerteten sich gegenseitig nach der damals beim Trial üblichen 0-1-3-5-Wertung. Mündliche Werbung wurde für die Veranstaltungen in der Schule und in der Straße gemacht, in der man wohnte. Es gab auch eine Rivalität zwischen dem Mückenkamp (ein Wohnviertel in Ebstorf) und der Hornstraße. Bei den Trials mußte jeder der Teilnehmer (wie er eben konnte) einen Preis stiften. Man fuhr um Schokolade oder um eine Flasche Erdbeerwein aus elterlicher Produktion – um die gestifteten Hefte von „DAS MOTORRAD“ tut es Jürgen Baumann heute leid.

Jürgen Baumann

Die beschriebenen Aktivitäten fallen in die Jahre 1961-1964. Im Jahr 1964 kaufte sich Jürgen Baumann – übrigens von Ronning – ein Moped. Da war es vorbei mit dem Fahrradfahren, und die Trialbastelei ging mit dem Moped weiter. Auch Grille war um diese Zeit alt genug für ein Motorrad und fuhr als vierter Schulz-Sohn für einige Jahre Motorrad-Trial. Ähnliches galt für Siggi, der noch gelegentlich bei Motorrad (Veteranen)-Trials als Zuschauer zugegen ist. Damit waren die wichtigsten Fahrer des „Fahrrad-Trial Clubs Ebstorf“ ins Motorrad-Lager übergewechselt und die Fahrrad-Trialaktivitäten in Ebstorf praktisch zuende.

Jürgen Baumann bestätigt, daß sie damals notgedrungen Fahrrad-Trial fuhren, weil ihnen der motorisierte Trialsport aus Altersgründen noch versperrt war. Er betont aber auch die Ernsthaftigkeit, mit der sie den Trialsport schon damals mit dem Fahrrad betrieben. Sie hätten praktisch jeden Tag trainiert und auch schon geübt, möglichst lange auf der Stelle zu stehen. Nur das seitliche Versetzen der Räder war noch kein Thema.